yesterday

Kinogeflüster: "22 Bahnen" aus dem Hause Constantin

Mit 22 Bahnen bringt Regisseurin Mia Maariel Meyer den erfolgreichen Debütroman von Caroline Wahl auf die große Leinwand – ein Werk, das bereits als literarisches Phänomen gefeiert wurde und nun auch filmisch sein Publikum berühren soll. Das Drama erzählt von Verantwortung, Aufbruch und den unsichtbaren Fesseln, die uns an unsere Herkunft binden.

Im Zentrum der Geschichte steht Tilda, gespielt von Luna Wedler. Sie studiert Mathematik, arbeitet nebenbei an der Supermarktkasse und trägt zugleich die Verantwortung für ihre kleine Schwester Ida (Zoë Baier). Ihre Mutter Andrea (Laura Tonke) ist alkoholkrank, sodass Tilda viel zu früh erwachsen werden musste. Ein fester Halt in diesem fragilen Alltag ist ihr tägliches Ritual: 22 Bahnen im Schwimmbad. Diese immer gleiche Zahl ist für sie Ordnung, Kontrolle und ein Stück Selbstschutz in einer Welt, die sie allzu oft zu überrollen droht.

Die Handlung nimmt Fahrt auf, als Tilda ein Promotionsangebot in Berlin erhält. Plötzlich öffnet sich für sie eine Tür, die den Weg in ein freieres, selbstbestimmtes Leben weisen könnte. Gleichzeitig tritt Viktor (Jannis Niewöhner) in ihr Leben – ein junger Mann, der ebenfalls 22 Bahnen schwimmt und eine unerwartete Verbindung zu Tildas Vergangenheit mit sich bringt. Zwischen Hoffnung auf Aufbruch und der Last familiärer Verpflichtungen entfaltet sich ein stilles, aber intensives Drama.

Mia Maariel Meyer gelingt es, den Ton des Romans in eine ruhige, eindringliche Filmsprache zu übertragen. Sie verzichtet auf melodramatische Zuspitzungen und überlässt es den Bildern, den Blicken und den unausgesprochenen Momenten, die inneren Konflikte der Figuren zu transportieren. Besonders die Szenen im Schwimmbad entwickeln dabei eine starke Symbolkraft: Das Wasser wird zum Schutzraum, in dem Tilda kurzzeitig alles hinter sich lassen kann, bevor die Realität sie wieder einholt. Auch kleine, wiederkehrende Motive wie Idas Zeichnungen oder der Beutel voller Pfandflaschen verstärken die poetische Bildsprache und lassen den Film lange nachhallen.

Ein wesentlicher Grund für die emotionale Wucht des Films sind die Darstellerinnen und Darsteller. Luna Wedler trägt die Zerrissenheit ihrer Figur mit beeindruckender Präsenz, zwischen kühler Selbstbeherrschung und aufgestauter Verzweiflung. Zoë Baier als Ida verleiht der Geschichte eine kindliche Leichtigkeit, die zugleich verletzlich und lebensklug wirkt. Laura Tonke gelingt es, die Rolle der alkoholkranken Mutter differenziert anzulegen, ohne in Klischees abzurutschen. Jannis Niewöhner fügt sich sensibel in das Ensemble ein und erweitert die Geschichte um eine zarte Liebes- und Hoffnungsebene.

Kritisch anmerken lässt sich, dass der Film sich sehr eng an die Buchvorlage hält. Wer eine mutige filmische Neuinterpretation erwartet, wird möglicherweise etwas enttäuscht sein. Auch die Handlung überrascht nicht durch unerwartete Wendungen, sondern folgt einer klaren Linie, die bereits vielen Leserinnen und Lesern bekannt ist. Doch gerade diese Treue zur Vorlage ist für andere wiederum ein Pluspunkt: Die Essenz des Romans bleibt erhalten, und die filmische Umsetzung versteht sich als sensible Verlängerung des literarischen Erfolgs.

Insgesamt ist 22 Bahnen ein feinfühlig inszeniertes Coming-of-Age-Drama, das auf Kitsch und große Gesten verzichtet und stattdessen durch stille Bilder, präzise Schauspielkunst und eine tiefe emotionale Ehrlichkeit überzeugt. Es ist ein Film über die Last familiärer Verantwortung, über das Ringen um Selbstbestimmung und über die kleinen, symbolischen Anker, die uns im Chaos des Lebens festhalten. Wer das Buch mochte, wird auch im Kino eine berührende Erfahrung machen – und wer sich auf ein leises, intensives Filmerlebnis einlässt, wird mit einer Geschichte belohnt, die lange nachwirkt.

Fazit: 22 Bahnen ist kein lautes, spektakuläres Kino, sondern ein stiller, eindringlicher Film, der seine Wirkung in den Zwischentönen entfaltet. Ein Werk, das zeigt, dass manchmal 22 Bahnen genügen, um dem eigenen Leben einen Rhythmus zu geben – und vielleicht den Mut, neue Wege zu gehen.

Trailer